Du entscheidest!

Foto: Martha Randy, Montreal

Foto: Martha Randy, Montreal

„Zufriedenheit zu praktizieren ist ein radikaler Akt in der konsumorientierten Gesellschaft“ – dieses Zitat von Robin Wall Kimmerer lief mir gestern über den Weg. Man könnte es aktuell ergänzen durch: Auch während einer zähen Pandemie ist das Praktizieren von Zufriedenheit ein radikaler Akt. 

Unsere Welt ist so komplex und wir müssen jeden Tag so viele Entscheidungen treffen, dass wir manchmal vergessen, dass es ein Geschenk ist, Entscheidungen treffen zu können. Oft stehen wir so unter Druck, in jedem Moment die richtige Entscheidung zu treffen (nach welchen und wessen Maßstäben?), dass wir uns fremdbestimmt fühlen und überhaupt vergessen, dass wir einen freien Willen haben.

Eine Herausforderung dabei ist es, unsere Energie sinnvoll einzuteilen. Wenn wir 100 Euro in der Tasche haben, wissen wir, dass wir damit haushalten sollten. Wir geben vielleicht einen Teil für Essen aus, einen Teil für Kino und einen Teil sparen wir. Außerdem sorgen wir dafür, dass unser Geldbeutel möglichst regelmäßig wieder aufgefüllt wird und wir nicht ins Minus rutschen.

Wie ist es mit unserer Energie? Auch die ist begrenzt. Und wir geben sie auch aus und müssen damit haushalten. Alles, was wir tun, braucht Energie. Jeder Gedanke ist ein elektromagnetischer Impuls in unserem Nervensystem, der Energie braucht. Wie teilen wir diese ein? Machst Du Dir Gedanken darüber, wie Du Deine Energie „ausgibst“ wie beim Geld? Ist Dir bewusst, dass Du genauso entscheiden kannst, in was Du Deine Energie investieren willst? Sorgst Du bewusst dafür, Dein Energiekonto regelmäßig aufzufüllen? Oder bist Du oft mit leerem Tank unterwegs?

Um ein zufriedenes Leben zu führen, ist es absolut wichtig, mit seiner Energie sorgsam umzugehen. Wenn wir einer Arbeit nachgehen, die uns anstrengt, ist das nicht unbedingt negativ, solange uns die Arbeit zufrieden macht, weil sie Spaß macht, sinnhaft ist, weil wir nette Kolleg*innen haben, weil wir dabei kreativ sind oder was auch immer. Dann sind wir vielleicht abends müde, aber auch zufrieden, und durch genügend Schlaf, Bewegung und ähnliches können wir unseren Tank wieder auffüllen. Wenn wir aber einer Arbeit nachgehen, die uns unter Stress setzt, bei der wir gegen die eigenen Überzeugungen, innere Widerstände, Überforderung, Langeweile oder ähnliches arbeiten, verbraucht dies ein Maß an Energie, das sich mit der Zeit nur noch schwer ausgleichen lässt. Wir kommen aus der Erschöpfung kaum mehr heraus. 

Ähnlich verhält es sich mit unseren Beziehungen, Aktivitäten, und nicht zuletzt unseren Gedanken. Ein positiver Gedanke kann uns sehr viel Kraft geben und braucht viel weniger Energie als ein sorgenvoller, angstvoller oder stressiger Gedanke. Meistens beziehen sich Sorgen, Ängste und Stress auf die Vergangenheit oder auf Zukunftsszenarien. Angenehme leichte und beflügelnde Gedanken beziehen sich eher auf das Hier und Jetzt. Deswegen hat die Achtsamkeitsmeditation als wirksames Mittel zur Stressreduktion in den letzten Jahren so viel Zuspruch bekommen. Es geht dabei typischerweise um die bewusste Beobachtung im Hier und Jetzt, z. B. des Atems, einer Sache, einer Emotion, einer Tätigkeit. Es ist nämlich in der Tat so, dass es uns im einzelnen Moment häufig recht gut geht. Der Stress kommt erst durch das Gedankenkarussel. Um ein negatives Gedankenkarussel zu durchbrechen, gibt es zum Glück jede Menge Methoden – Meditation, Yoga, ThetaHealing und anderes mehr. 

Wir sollten also üben, bewusst zu wählen, wohin wir unseren Fokus richten und wie wir unsere Energie ausgeben. Schreib doch mal auf, in was Du tagtäglich Deine Energie investierst, Tätigkeiten, Emotionen und Gedanken. An welchen Stellen Du „erschöpft“ (ohne Schöpfung?) bist, und an welchen Stellen Du voller Energie bist, und was Du tust und tun kannst, um Deinen Energiehaushalt in Schuss zu halten. Vielleicht wird Dir klar, dass Du im falschen Job bist. Dass Du Dinge tust, weil Du denkst, Du müsstest oder hättest keine Wahl. Du hast fast immer eine Wahl. Manchmal reicht schon ein Perspektivwechsel. Manchmal braucht eine Veränderung Mut. Aber auch da im Vertrauen zu sein, lässt sich lernen.

Früher war ich zeitweise ein Nachrichtenjunkie. Im November 2016 entschied ich, keine Nachrichten mehr im Fernsehen anzusehen. Bewegtbilder sind machtvoll, ich wollte sie nicht im Kopf haben – ihnen keinen Raum geben. Ich fahre prima damit, Nachrichten nur noch in schriftlicher Form zu konsumieren. Auch in Sachen Virus haben wir eine Wahl. Die Medien sind voll davon. Man könnte sich rund um die Uhr damit beschäftigen. Oder seine Zeit und Energie in etwas Sinnvolleres stecken. Ich könnte mich zum Beispiel darüber echauffieren, dass ich jetzt offiziell eine Maske tragen muss, wenn ich zwischen Autos und Straßenbahn die Augsburger Bahnhofstraße entlang radele. Aufregen kostet viel Energie. Ich kann mir beim Radeln aber auch die Vögel ansehen, die über mir in Formation durch den blauen Himmel fliegen und mir klar machen, wie unglaublich es ist, dass über diesem Himmel die unendliche Weite des Universums liegt. Kraftvoller Gedanke. Freie Entscheidung.

Ich könnte jeden Tag verfolgen, dass Virologe X dies sagt und Politikerin Y jenes. Oder ich kann aktuell aus dem Fester gucken oder durch den Wald spazieren und mich positiv überwältigen lassen von der Leuchtkraft der bunten Blätter – die wie Feuer leuchten. Was für eine Natur! Wenn Du Dich durch die Corona-Maßnahmen stark beeinträchtigt fühlst, dann schreibe doch mal auf, wo und in welchem Umfang sie Dich wirklich betreffen. Das ist sicherlich bei jedem anders. Aber vielleicht siehst Du, dass die Menge (und das Ausmaß) der Einschränkungen für Dein tägliches Leben in Wirklichkeit viel weniger einschneidend sind als es manchmal scheint.

Man hört gerade täglich, dass uns ein „harter Winter“ bevorsteht, mit Virus und Einschränkungen. Man liest, dass sich in der Bevölkerung eine Pandemie-Müdigkeit breit macht. Meiner Meinung nach steht uns genau dann ein “harter Winter” bevor, wenn wir das erwarten. Wir haben die Wahl. Ja, es wird weiterhin Einschränkungen geben und das Virus ist da, aber hey, unser Leben ist sowieso voll von Einschränkungen. Ich muss aus gutem Grund an der roten Ampel stehenbleiben; ich muss an der Kasse anstehen; ich muss mich nach dem Fahrplan der Deutschen Bahn richten; ich muss mit den Entscheidungen von Politikern auf der Welt leben, die ich nicht gewählt habe; ich kann meine Freundin in Kanada nicht wöchentlich zum Kaffee treffen; ich muss Deadlines einhalten, um meinen Lebensunterhalt zu bestreiten und und und. So ist das Leben in der Gemeinschaft und das meiste davon finden wir ok. Ich habe immer die Wahl, das Glas halbvoll zu sehen, besser noch, ganz voll. Wollen wir uns den „harten Winter“ ernsthaft verschreiben/vorschreiben lassen?

Frag Dich doch mal, was Dich aktuell zufrieden macht im Leben und ob Du mehr Energie auf diese Dinge verwenden kannst. Vielleicht findest Du auch neue Interessen. Ich beschäftige mich zum Beispiel neuerdings mit ätherischen Ölen – da tut sich eine ganz neue Welt auf. Vielleicht führt gerade das Erleben, dass nicht mehr alles selbstverständlich ist, zu Wertschätzung für das, was möglich ist. Wenn wir für schöne Momente sorgen, dem Leben oft spielerisch begegnen und immer etwas zu lachen haben, kann unser Körper Glückshormone ausschütten, mit ganz realer Wirkung auf unseren Körper – der biochemischen Entsprechung der Zufriedenheit – die genauso real ist wie die Wirkung von Stresshormonen.

Es ist nie zu spät, um radikal zu werden – zum Beispiel durch das Praktizieren von Zufriedenheit und Optimismus im Winter einer Pandemie. Dafür musst Du nicht mal unbedingt vom Sofa aufstehen.