Wo geht's hier zum Ziel?

Foto: Martha Randy, Montreal

Foto: Martha Randy, Montreal

Der Spruch „Der Weg ist das Ziel“ wirkt mittlerweile ziemlich abgedroschen. Oft versteht man darunter, dass wir dazu neigen, das Leben an uns vorbeiziehen lassen, weil wir so sehr auf Ziele konzentriert sind, dass wir die Blümchen am Wegesrand übersehen.

Interessant wird der Spruch, wenn man sich von der Idee konkreter Ziele am Ende eines Weges verabschiedet und erkennt, dass das ganze Leben aus Prozessen besteht. Die Evolution des Menschen und des Lebens ist Transformation: Sie hat kein Ziel, sie ist das Ziel. Der Cellist Yo-Yo Ma sagt sehr treffend: „Jeden Tag bewege ich mich auf etwas zu, was ich nicht verstehe. Das Ergebnis ist ein dauerhaft zufälliges Lernen, das mein Leben konstant formt.“

Wenn ich mir keine Ziele setze, so wendest Du vielleicht ein, treibe ich dann nicht auf dem Ozean des Lebens umher ohne Sinn und Verstand und komme niemals vom Fleck? Ich glaube, man kann hier zwischen Zielen und Ideen unterscheiden.

Wenn ich mir ein Ziel setze, dann besteht ein Mangel in meinem Leben, bis das Ziel erreicht ist. Dann setze ich mir ein neues Ziel und bin wieder im Mangel. Ich kann den Weg oft nicht genießen und bin die ganze Zeit damit beschäftigt, den Prozess zu kontrollieren.

In unserer Leistungsgesellschaft ist das normal. Und in manchen Fällen und für Menschen mit einer ausgeprägten “Ich kam, sah und siegte”-Einstellung kann das richtig sein. Die Karotte, der wir hinterherlaufen, kann ein Antrieb sein, im äußeren Leben große Dinge zu erreichen und Erfolgserlebnisse zu verbuchen. Davon kann die Gesellschaft und die Menschheit durchaus profitieren.

Aber was macht es auf Dauer mit unserem Inneren? Kann es gesund sein, viel Zeit im Mangelzustand zu verbringen? Denn der dauernde Fokus auf etwas, was (noch) nicht da ist, führt oft zu einem Kontrollzwang, zu Stress, Druck und Versagensängsten. Wir leben dann nicht im Jetzt, sondern in einer Zukunft, von der unklar ist, ob sie überhaupt erreichbar ist bzw. eintritt.

Interessant finde ich das Konzept der Idee als Kompass des Lebens. Eine Idee entspringt aus einer kreativen Quelle und nicht aus einem Mangel. Eine Idee ist, anders als ein Ziel, nicht in Stein gemeißelt. Jeder Künstler weiß, dass die kreative Idee und das Endergebnis selten deckungsgleich sind. Viel mehr ist die Inspiration der Impuls, in eine bestimmte Richtung aufzubrechen, in einen Prozess einzusteigen und spielerisch zu gucken, was passiert. Unterwegs kommen dann idealerweise (wie in der Evolution) immer mal wieder neue Impulse, ein Ausprobieren, ein Richtungswechsel, oft eher begleitet von einem Gefühl der Dankbarkeit für die Erfahrung als von einem Gefühl des Mangels oder der Angst vor Versagen. Das setzt allerdings eine gewisse Offenheit und Vertrauen voraus.

Beispiel Meditation: Unter denen, die hier mitlesen, gibt es einige Meditationsprofis. Andere würden vielleicht gerne meditieren und wissen nicht so recht, wo anfangen. Ich hatte schon vor vielen Jahren das Ziel zu meditieren – es sollte ja wahnsinnig gesund sein – aber irgendwie fand ich das schwierig. Ich dachte, es müsse da den einen richtigen Weg geben, es zu lernen – mit ein bisschen Verstand und Übung. Ungefähr so wie bei den binomischen Formeln. Fehlanzeige. Ich gab schnell wieder auf, weil allein drei Minuten mit geschlossenen Augen dazusitzen und meinen Geist zu beruhigen die reine Qual war.

Erst als ich mit ThetaHealing eine Praxis kennenlernte, mich durch eine Visualisierungsübung in den Theta-Gehirnzustand zu versetzen, stellte ich fest, dass ich die Zeit, in der ich in diesem Zustand verweile, ausdehnen kann; dass es spannend ist, zu beobachten, wie das an manchen Tagen ganz leicht geht und an anderen der Geist immer wieder umherwandert. Ohne es zu bewerten. Zu erleben, wie dieser spielerische Einstieg in den Tag zu mehr Gelassenheit führt. Plötzlich hatte ich mir – ohne dieses konkrete Ziel – eine tägliche Meditationspraxis angewöhnt, die ich nicht missen möchte. Seit dem probiere ich gelegentlich unterschiedliche Techniken aus, kombiniere sie mit Atemübungen, und weiß inzwischen, es gibt kein Richtig und Falsch bei der Meditation, es gibt nur einen Weg. 

Ich versuche mal zu skizzieren, wie sich dieser meditative Zustand für mich anfühlt (für andere kann das ganz anders sein): Ich betrete einen Bewusstseinsraum, der außerhalb von unseren konventionellen Raum und Zeit liegt. Er ist gleichzeitig innen und außen. Er ist hell, voller Energie, frei von Angst und grenzenlos. Ich kann mich in diesem Raum physisch grenzenlos fühlen oder meinen Körper darin detailliert wahrnehmen. Ich habe dann das Gefühl, mit der „Quelle“ des Lebens verbunden und von ihr durchflutet zu sein, es gibt keine Trennung und das Drama des Alltags wird ziemlich bedeutungslos. (Ich würde gerne von Euch Meditierer:innen hören, was Ihr da so erlebt.)

Physiologisch gesehen springen bei den meisten Meditationstechniken ganz bestimmte Zellen im Gehirn an, und interessanterweise nimmt die Gehirnaktivität in den Angstzentren unseres Gehirns nachweislich ab. Man ist ein bisschen wie auf Droge, nur ohne Droge.

Anderes Beispiel: Ich habe vor über 10 Jahren angefangen, leidlich regelmäßig zum Yoga zu gehen. Anfangs, weil es gut für den Rücken sein sollte und überhaupt so gesund (Ziel!). Das Yoga selbst hat mir immer Spaß gemacht (coole Lehrerinnen), aber im Hintergrund lauerte immer das schlechte Gewissen vor mir selbst, wenn ich nicht gegangen bin. Außerdem gab es da immer ein paar Übungen, die ich nicht konnte. Die Krähe zum Beispiel. Also habe ich die Krähe schnell ad acta gelegt.

Ich beschäftige mich ja inzwischen etwas intensiver mit der Körper-Geist-Verbindung und da verändert sich automatisch das Verhältnis zum eigenen Körper. Vor einiger Zeit habe ich begonnen, jeden Morgen und jeden Abend konsequent Übungen zu machen, weil ich ein starkes Bedürfnis entwickelt habe, das zu tun. Ich merke, wie sich mein Körpergefühl, meine Körperspannung und ähnliches verändern – und meine Körper-Geist-Verbindung, auch dank Meditation, sich mitwandelt. Ohne dass das mein Ziel war, fand ich mich im Frühjahr während der Yoga-Stunde plötzlich in einer recht stabilen Krähe wieder.

In wiefern ist das relevant? Wer am inneren Wandel interessiert ist, hat oft auch einen hohen ethischen Anspruch an sich selbst. Wenn man dann Eigenschaften an sich bemerkt, die man nicht mag, z. B. dass man auf bestimmte Leute herabschaut, jemandem etwas nicht gönnt oder manchmal undiszipliniert ist, fühlt man sich schlecht. Man möchte das Ziel und die Werte der Integrität erreichen, merkt aber, dass das nicht immer so leicht ist. Unter Umständen landet man in einer unangenehmen kognitiven Dissonanz.

Dinge wie Meditation und Krähe kann ich einfach weglassen, wenn sie mir nicht gelingen, auch wenn das vielleicht meinen Ehrgeiz kränkt. Mit Charaktereigenschaften ist das nicht so einfach. Also neigen wir dazu, gegen unsere vermeintlich negativen Seiten anzukämpfen. Das funktioniert aber nicht, denn sie sind Teil unseres Systems und lassen sich nicht einfach abstreifen. 

Auch hier gilt: Lege Deinen Fokus nicht auf das Ziel, Deine weniger angenehmen Seiten oder Schwächen loszuwerden, sondern konzentriere Dich auf Deinen Weg. Betrachte, was Du an Dir magst und was Dich interessiert und inspiriert. Lasse Dich darauf ein. Übe, Dich selbst anzunehmen und zu mögen; Deine eigenen Bedürfnisse ernst zu nehmen; Dich abzugrenzen; Dir selbst etwas Gutes zu tun.

Muster und Glaubenssätze lassen sich nämlich auch auf der physischen Ebene verändern: z. B. wenn ich meinem Körper Massagen, Bewegung, gute Luft, wertschätzende Menschen usw. angedeihen lasse, lernt das gesamte Körper-Geist-System bis hinein in die Zellebene, dass es wertvoll ist. Wenn Du solche Dinge konsequent über einen längeren Zeitraum praktizierst und möglichst ganzheitlich und in zunehmendem Maß in Dein Leben integrierst, auch durch Meditation, Heilpraktiken, Chanten oder was auch immer Dir gut tut, und reduzierst, was Dir weniger gut tut, garantiere ich Dir, dass Deine vermeintlich negativen Charaktereigenschaften und Unzufriedenheiten sich mit der Zeit verabschieden.

Damit trägst Du nicht nur zu Deinem persönlichen Wohlbefinden bei, sondern tust auch etwas für die Menschheit und den Planeten. Die bereits erwähnte Neurowissenschaftlerin Jill Bolte Taylor legt in ihrem Buch Whole Brain Living (leider noch nicht auf Deutsch erschienen) überzeugend dar, dass je mehr Zeit wir damit verbringen, den Teil unseres Gehirns zu stimulieren, der es uns erlaubt, tiefen inneren Frieden zu empfinden, umso mehr Frieden projizieren wir auch in die Welt und umso friedlicher wird unsere Erde.