Theta Insel

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Alles ist eins?

Foto: Martha Randy

Das Schlagwort „Alles ist eins“ ist Dir sicher auch schon begegnet. Man darf sich fragen, liegt darin jede Menge Weisheit oder ist das eher ein Friede-Freude-Eierkuchen-Schlachtruf vermeintlich Erleuchteter?  

Wenn wir uns den aktuellen Zustand der Welt angucken, der von extremen „Wetterlagen“ und verhärteten Fronten geprägt ist, fühlt es sich gar nicht so an, als sei alles eins, im Gegenteil. Darf man den Spruch also getrost vom Tisch wischen? So einfach ist es nicht. Hier ein paar Denkanstöße:

_ Im Januar starb der bekannte buddhistische Mönch, Friedensaktivist und Autor Thich Nhat Hanh. Er lehrte das: Wer ein Blatt Papier, das vor ihm liegt, genau beobachtet, erkennt darin eine vorbeiziehende Wolke. Denn ohne eine Wolke gibt es keinen Regen, ohne Regen keine Bäume, ohne Bäume kein Papier. Kurz: keine Wolke, kein Papier. Er nennt dies „Intersein“ („interbeing“) – das eine gibt es nicht ohne das andere, sie sind in ihrer Existenz miteinander verwoben.

Wenn wir noch tiefer in das Papier blicken, entdecken wir dort auch Sonnenschein, denn ohne Sonne wächst nichts. Wir sehen darin auch den Holzfäller und das Getreide, aus dem sein Brot ist, und wir sehen seine Eltern und Großeltern. 

Wenn wir noch genauer hingucken, sehen wir uns selbst darin. Denn wir erkennen schnell, dass das Blatt Papier in unserer Wahrnehmung existiert. Wir erkennen also unseren Geist in dem Papier. Und so ist es mit allem anderen auch: Zeit, Raum, Erde, Luft, Insekten. Es gibt nichts, was nicht mit und in diesem Blatt Papier koexistiert. Denn wenn wir uns vorstellen, dass auch nur eines dieser Elemente zu seiner Quelle zurückkehrt, der Sonnenschein zur Sonne zum Beispiel, wäre das Blatt Papier nicht da. So gesehen vereint es den gesamten Kosmos in sich. Dasselbe gilt natürlich auch für uns Menschen. Beim Blick in die Welt, egal was wir sehen, darf uns also bewusst werden, „das bin ich“.

Thich Nhat Hanh erklärt ein weiteres schönes Bild: Eine Welle im Meer entsteht und verebbt, sie wird geboren und sie stirbt. Aber eine Welle ist nur eine Form gefüllt mit Wasser, die durch die Existenz von Erd- und Mondbewegung sowie Wind aus dem Ozean entsteht. Wenn sich die Welle nicht als etwas Separates, sondern als Wasser des Ozeans begreift, erkennt sie, dass sie Teil einer Kontinuität ist. Sie merkt, dass Geburt und Tod Illusionen sind. Wovor sollte sie sich also fürchten? Thich Nhat Hanh schrieb: “Auch morgen werde ich weiter existieren – wenn du gut achtgibst, erkennst du mich in einer Blume oder einem Blatt; dann grüße ich dich und freue mich.”

_ Ich habe gerade das Buch Quantenphysik für Hippies, gelesen. Darin unterhalten sich ein Hippie und eine Quantenphysikerin über die Natur der Realität. Der Ausgangspunkt des Buchs ist, dass der spirituelle Hippie und die leidenschaftliche Quantenphysikerin sich auf derselben Reise befinden: auf der Suche nach Wahrheit.

Spannend fand ich, wie die beiden die Wissenschaft beschreiben. Die Physikerin erklärt den wissenschaftlichen Prozess als einen kreativen, quasi evolutionären Selektionsprozess von Ideen, die aus der menschlichen Intuition entspringen. Der wissenschaftliche Prozess greift diese intuitiven Ideen auf, untersucht sie mit den Mitteln der Vernunft und überprüft, ob sie der Natur standhalten. 

Anders ausgedrückt, Ideen steigen wie bunte Seifenblasen aus einem See der rätselhaften menschlichen Intuition auf – und die meisten werden mit den spitzen Pfeilen der Vernunft wieder abgeschossen. Aus einigen der überlebenden Ideen kristallisieren sich starke Theorien heraus und es entsteht ein vertrauenswürdiges Glaubenssystem, das zu Wissen und Technologie führt. 

Einstein erklärte: „Alle Religionen, Künste und Wissenschaften sind Zweige desselben Baumes. All diese Bestrebungen sind darauf gerichtet, das menschliche Leben zu erhöhen, es aus der Sphäre bloßer physischer Existenz zu erheben und das Individuum zur Freiheit zu führen.“ Nicht umsonst verstanden sich viele bekannte Gelehrte und Wissenschaftler, darunter Hildegard von Bingen, Leonardo da Vinci, Nikola Tesla und Erwin Schrödinger, auch als Mystiker, die im Bereich zwischen der kleinen Insel des Wissens und dem riesigen Ozean des Ungewissen forschten, sozusagen am Strand des Rätselhaften buddelten.

Der Hippie gelangt in dem Buch zur Einsicht, dass uns der wissenschaftliche Prozess zwar keine direkten Wahrheiten liefert, aber dass dieser – wie eine Bildhauerin eine Skulptur aus einem Steinblock herausmeißelt – stückweise alles entfernt, was der Wahrheit nicht standhält, bis möglichst etwas Wunderbares und Wahres übrig bleibt.

_ Ich praktiziere neuerdings neben ThetaHealing eine weiter Heilmethode, die die Arbeit mit dem Unterbewusstsein gut ergänzt. Es geht im weitesten Sinne darum, Blockaden und negative Emotionen auf der körperlichen Ebene zu identifizieren und anschließend aufzulösen.

Die Methode basiert auf dem Modell der Koshas aus der uralten hinduistischen Philosophie. Demnach besitzt der Mensch fünf „Hüllen“, die (von außen nach innen) für Körper, Lebenskraft, Geist, Weisheit und Glückseligkeit stehen. Die Koshas umhüllen das wahre unsterbliche Selbst (die Seele). Die Heilmethode geht davon aus, dass die meisten unserer Probleme in den äußeren Hüllen angesiedelt sind und wir oft den Kontakt zu unseren tieferen Ebenen verloren haben. Während die äußeren Hüllen also von den Stürmen des Lebens aufgewühlt werden und uns im Leben beschäftigt halten, erlauben uns die tiefen Ebenen eine gute Verbindung zur Kontinuität des Seins, frei von Drama und Furcht. Wenn es uns besser gelingt, diese tiefen inneren Ebenen in uns zu erschließen und sie in unser Leben zu integrieren, werden viele unserer Probleme leichter oder verabschieden sich ganz.

Wie helfen solche Ideen nun gegen die verhärteten Fronten in unserer Welt? Sie schaffen keine schnelle Abhilfe wie eine schnellwirkende Kopfschmerztablette. Es könnte aber sein, dass sich mit der Zeit etwas ändert, wenn sich Jede:r von uns der Verwobenheit und der Schichten des Seins gewahr wird. Wie? Indem wir üben, genauer zu fühlen: Verbindungen zu spüren, die Natur zu spüren, andere Menschen und uns selbst tief zu spüren. Wenn sich immer mehr Menschen weniger als separate Wellen wahrnehmen, erkennen sie sich selbst in allem und jedem und es wird dann beispielsweise zweitrangig, welche konträren Ansichten ein anderer Mensch vertritt. Er IST nicht diese Ansichten, er HAT sie nur.

Wenn ich also in die Welt blicke und dabei spüre: „das bin ich“, kann Furcht schwinden; Gründe, sich in Machtspiele zu verwickeln oder andere Menschen anzugreifen, erledigen sich. Die Probleme der Welt werden sich damit nicht von heute auf morgen lösen lassen, aber vielleicht ist heute ein guter Tag, um mit dem Spüren der Welt bei uns selbst anzufangen (oder auf diesem Weg voranzuschreiten).

Quellen:
Thich Nhat Hanh: Awakening of the Heart: Essential Buddhist Sutras and Commentaries (2012); Lukas Neumeier und James Douglas: Quantenphysik für Hippies (2019)