Weihnachtspost – Perspektivwechsel
Kennst Du das „Friedenslicht von Bethlehem“? Jedes Jahr im Advent werden „Friedenslichter“ an der Flamme der Geburtsgrotte Jesu in Bethlehem entzündet und in die ganze Welt gebracht. In unserer Kirchengemeinde ist auch eins angekommen und daran werden an Heilig Abend Kerzen entzündet, die die Besucher mit nach Hause nehmen dürfen. Ich finde die Vorstellung schön, dass an verschiedenen Orten der Welt einzelne Lichtlein brennen, die alle aus dem einen großen Licht aus Bethlehem stammen.
Dazu ist mir die Parabel für Kinder von Neale Donald Walsch eingefallen: Ich bin das Licht. Die kleine Seele spricht mit Gott. Dort geht es um eine kleine Seele im Himmel, die mit Gott bespricht, dass sie zwar verstanden hat, dass sie ein Licht ist, aber nicht weiß, was das bedeutet. Gott erklärt ihr, das liege daran, dass sie im Himmel vollständig von Licht umgeben sei: Sie ist Teil des einen großen Lichts. Was es wirklich bedeute, ein Licht zu sein, könne sie erst durch Dunkelheit erfahren. Sie lernt, dass man die Natur einer Sache oft erst durch deren Gegenteil erlebt – es braucht einen Perspektivwechsel. Da die kleine Seele sich unbedingt selbst als Licht erfahren möchte, beschließt sie, als Mensch auf der Erde zu gehen, um Dunkelheit und andere Gegensätze zu erleben und an diesen Erfahrungen zu wachsen. Die Schwierigkeit daran sei, so sagt man ihr, dass die meisten Seelen, sobald sie in einem menschlichen Körper geboren werden, vergessen, woher sie kommen und was sie sind. Deswegen verheddern sie sich oft im Drama des menschlichen Daseins.
Bei Jesus war das anders. Er sagte: „Ich bin das Licht der Welt“ und zu den Menschen: „Ihr seid das Licht der Welt“. Ich bin weder bibelfest noch theologisch bewandert, aber es scheint, als ob Jesus ein Mensch war, der immer wusste, dass er ein Licht war. Und er wollte die Menschen daran erinnern, dass auch sie alle Lichter desselben Ursprungs sind. Individuelle Ausprägungen desselben Lichts.
Die Symbolhaftigkeit der Pandemie und des Virus ist in dieser Hinsicht schon fast plump. Das Virus hält uns dreist den Spiegel vor und zeigt uns die Schwächen unseres auf Wachstum und Individualismus ausgelegten Systems auf. Denn das Virus gedeiht oft da besonders gut, wo wir vergessen, dass wir eigentlich alle dasselbe Licht sind und Eigennutz über Gemeinnutz stellen. Das Virus weicht, so scheint es, wenn wir den Schutz aller, besonders der Schwächsten, über die individuellen Bedürfnisse stellen.
Wir müssen uns hier und da einschränken, mehr oder weniger (und leider ist das sehr unterschiedlich verteilt). Aber an einigen Stellen entpuppt sich die Einschränkung als Segen. Manche sagen hinter vorgehaltener Hand, dass dies die entspannteste Vorweihnachtszeit ihres Lebens sei und sie sich auf das Weihnachtsfest freuen wie schon lange nicht mehr. Wir wünschen uns gerne gegenseitig „besinnliche Weihnachten“ – aber wer besinnt sich normalerweise schon in all dem Vorweihnachtstrubel, den Erwartungen, den materiellen Aspekten wirklich darauf, dass die Geburt Christi für unser aller Licht steht?
Vielleicht ist das diesjährige Weniger eigentlich ein Mehr. Ich habe zum Beispiel das Gefühl, dass manche Freundschaften seit der Pandemie tiefer geworden sind. Jeder könnte sicher Beispiele nennen, wo in der Pandemie weniger Quantität zu mehr Qualität geführt hat. Dank des sogenannten Lockdown konnte ich letzte Woche beispielsweise zum ersten Mal das Heilfasten ausprobieren. Fünf Tage nur Brühe, Kräutertee und Wasser. Es ist erstaunlich, wie der Körper sich in ganz kurzer Zeit umstellt und sich mühelos aus sich selbst nährt. Wie der Hunger schnell verschwindet und plötzlich überraschende Energien freigesetzt und körperliche Heilprozesse angestoßen werden. Man lernt sich und seinen Körper anders kennen und begegnet sich selbst ganz neu. Für mich war die kurzzeitige radikale Einschränkung ein echter Gewinn.
Ich will hier keine Askese predigen, sondern einen positiven Perspektivwechsel empfehlen. Wenn es uns dank der Pandemie gelingt, im Weniger ein Mehr zu erkennen, zu lernen, uns öfters mal von innen heraus zu nähren statt von außen, können wir uns vielleicht besser auf unseren Daseinszweck besinnen, unser Licht strahlen und wachsen lassen. Vielleicht erkennt die kleine Seele (die ja irgendwie für uns alle steht) dann auch, dass die Sache mit Licht und Dunkelheit nicht so eindeutig ist, dass manchmal in scheinbarem Dunkel Licht leuchtet und umgekehrt, und dass das Licht viele Erscheinungsformen und Nuancen hat.
Man muss nicht christlich oder gläubig sein, um zu verstehen, dass die Botschaft Jesu ziemlich radikal und auch provokant war. Sie Sache mit dem Licht hat nichts mit sentimentalem Weihnachtskitsch zu tun. Nächstenliebe konsequent zu leben und sich selbst als Licht zu verstehen verlangt, dass man alte Muster über Bord wirft und ausgetretene Pfade verlässt. Es verlangt Mut, Furchtlosigkeit und vollständiges Vertrauen. Dass dies der Menschheit heute genauso schwer fällt wie vor 2000 Jahren, verrät ein kurzer Blick in die täglichen Nachrichten.
Das Virus zwingt uns immer wieder zum Perspektivwechsel und darin liegt – das wissen wir alle – eine Chance. Wenn wir lernen loszulassen und nach vorne zu gucken, offen zu sein für Neues und Anderes, wenn jeder einzelne von uns sich täglich daran erinnert, ein Licht zu sein, und sich traut, es leuchten zu lassen, dann kann das Licht der Menschheit als Ganzes wachsen.
Wenn Du in den Weihnachtstagen Kerzen anzündest, betrachte wirklich einmal das Licht. Besinne Dich darauf, dass es Dein Spiegelbild ist, dass Du das Licht der Welt bist. Das Geburtstagskind hat es so ausgedrückt: “Stell Dein Licht nicht unter den Scheffel; lasse Dein Licht leuchten.” Das wünsche ich Dir und uns.