Theta Insel

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Danke!

Meine gute Freundin Martha in Kanada beschäftigt sich seit Jahren mit der Kraft der Dankbarkeit, lehrt Dankbarkeit und praktiziert sie in ihrer Fotografie. Unter anderem bietet sie Menschen an, sich kostenlos von ihr fotografieren zu lassen. Bedingung ist, dass die Porträtierten während des Shootings erzählen, wofür sie in ihrem Leben dankbar sind. Der Effekt ist verblüffend. Die Menschen strahlen auf den Fotos so sehr von innen heraus, dass sie oft selbst überrascht sind.

Die Kraft und heilende Wirkung einer „Dankbarkeitspraxis“ wurde seit dem Aufkommen der sogenannten positiven Psychologie vor rund 20 Jahren auch in zahlreichen Studien wissenschaftlich belegt. Menschen, die Dankbarkeit bewusst praktizieren, sind nachweislich im Schnitt zufriedener, optimistischer, schlafen besser, sind seltener krank und haben mehr Energie im Alltag. Sie leiden seltener an Depressionen, Sucht oder Burnout.

Auch wenn die Wissenschaft den Wert der Dankbarkeit erst seit wenigen Jahren anerkennt, ist dieser alles andere als neu. Schon der Buddha, Cicero, Epiktet, Aesop und andere Dichter, Propheten und Philosophen durch die Jahrhunderte priesen die positive Wirkung der Dankbarkeit.

Um eine Dankbarkeitspraxis zu etablieren, wird zum Beispiel empfohlen, abends vor dem Schlafengehen Dinge aufzuschreiben, für die man dankbar ist. Ich habe das phasenweise auch schon gemacht. Kürzlich bekamen wir in meiner Meditationsgruppe die Aufgabe, 40 Tage lang jeden Abend etwas in ein „Dankbarkeitstagebuch“ zu schreiben und zu beobachten, ob und was sich in unserem Leben verändert. Was man da konkret aufschreibt, darin ist man völlig frei. Es können kleine oder große Dinge sein, Menschen, Erlebnisse, Gefühle, Entwicklungen, der Anblick eines Sonnenstrahls auf einem Blatt, lang ersehnter Regen und vieles andere mehr. Ich mache das jetzt seit etwa drei Wochen und spürbar verändert hat sich nichts. Und so widersprüchlich es klingen mag, das ist gut.

Der Trick bei der Dankbarkeitspraxis ist, dass man nicht einfach aus dem Kopf heraus eine Liste von Dingen aufschreibt, für die man gemäß persönlichen und gesellschaftlichen Werten und Normen dankbar sein kann und vielleicht auch dankbar sein sollte, sondern dass man wirklich in das echte Gefühl der Dankbarkeit hineingeht; die Emotion der Dankbarkeit wirklich zulässt und darin badet. Es ist besser, zwei Dinge aufzuschreiben und ein paar Minuten lang wirklich hineinzuspüren und die Wirkung zu fühlen, als in der gleichen Zeit 20 Dinge aufzuschreiben, ohne sie zu spüren. Das bewusste Spüren von und Baden in Dankbarkeit führt gleichzeitig zu einem quasi meditativen Zustand und zur Ausschüttung von Glückshormonen. Diese auf das Gefühl zentrierte Herangehensweise hat aus meiner Erfahrung eine deutlich größere Wirkung als wenn man Dankbarkeit rein rational praktiziert.

Der nächste Schritt besteht darin, sich immer mehr an dieses Gefühl zu gewöhnen, dass es so vertraut wird wie ein guter Freund und dass man es in den Alltag mitnehmen kann. Ziel ist es, die Emotion möglichst jederzeit und vor allem in Stresssituationen aktiv in sich hervorrufen zu können.

Jeder kennt Emotionen und weiß, wie sie sich anfühlen. Dennoch gibt es bis heute keine einheitliche Definition von Emotionen. In Heilpraktiken werden Emotionen als Energien im physischen und feinstofflichen Körper betrachtet, die, wie jede Energie, eine Schwingung, eine Amplitude, sozusagen einen „Vibe“ haben. Und für mich gibt es keinen Zweifel, dass wenn eine Person vor mir steht, die gerade eine starke Emotion erlebt, etwa Wut oder Glück, ich diesen „Vibe“ deutlich wahrnehme. Sie strahlt ihn normalerweise mit jeder Zelle aus.

Man spricht bei sogenannten positiven Emotionen wie Freude und Dankbarkeit von hochschwingenden Emotionen und bei sogenannten negativen Emotionen wie Angst und Groll von niederschwingenden Emotionen. Diese Bezeichnungen muss man nicht allzu wörtlich nehmen, aber sie beschreiben für mich gut das Erleben dieser Emotionen. Die niederschwingenden Emotionen haben etwas Enges, Dunkles, die hochschwingenden etwas Weites, Helles. Ziel ist es, den hochschwingenden Emotionen bewusst Raum in unserem Leben zu geben, anstatt uns von den niederschwingenden Impulsen und Emotionen bestimmen zu lassen.

Warum bin ich nun also froh, dass die Dankbarkeitspraxis der letzten Wochen bei mir keine spürbare Wirkung zeigt? Weil ich merke, dass mir das über die Jahre bereits über weite Strecken in Fleisch und Blut übergegangen ist. Ich gehe zum Beispiel sehr gerne und möglichst täglich raus in die Natur und oft erfüllt mich das Erleben der Natur, die Bäume, das Wasser, die Vögel, der Duft der Blumen, der Himmel, die Sonne oder eine Brise auf der Haut spontan mit einem Gefühl von Freude und Dankbarkeit – zwei Emotionen, die eng miteinander verknüpft sind.

Einige, die hier mitlesen, wissen, dass mein Vater vor kurzem im hohen Alter von 92 Jahren verstorben ist. Er ist nach einem langen erfüllten Leben friedlich eingeschlafen. Es kam nicht unerwartet, und als es so weit war, kam bei mir natürlich ein ganzes Arsenal von Gefühlen hoch. In unserer Gesellschaft wird ja kein großer Fokus darauf gelegt, dass wir lernen, wie wir emotional mit dem Tod umgehen können, weder mit dem Tod uns nahestehender Menschen, noch mit der Perspektive des eigenen Todes. Der Tod ist nach wie vor ein Tabuthema, dem man gerne aus dem Weg geht. Gleichzeitig wird er in den meisten Weisheitstraditionen und Religionen auch als etwas Heiliges betrachtet.

Ich kann jedenfalls sagen, dass von den vielen Gefühlen dieser neuen Realität das stärkste das der Dankbarkeit war und ist – für vieles. Nicht zuletzt bin ich dankbar dafür, dass ich von meinem Vater die Naturverbundenheit lernen durfte. Er war ein passionierter Wanderer und hat auch mich als Jüngste schon mit etwa vier Jahren auf hohe und einsame Berge in der Schweiz mitgeschleppt. Mitgefangen, mitgehangen. Wenn meine Beine mich nicht mehr tragen wollten, hat er mich kurzerhand hoch auf seine Schultern gehoben (er war über 1,90 m groß), bis wir den Gipfel, den Bergsee, oder was auch immer das Ziel war, erreicht hatten. Mit seinen großen warmen Händen hat er mich festgehalten und ich habe mich an ihm festgehalten und er hat mir dabei manchmal skurrile Variationen von Grimms Märchen erzählt, um mich bei Laune zu halten.

Auch wenn er es vielleicht nicht in diese Worte gefasst hat, so hat er bei diesen Wanderungen seine Freude und Dankbarkeit für die Naturerfahrung ausgelebt und uns mitgegeben. In diesen Situationen fiel aller Alltagsstress ab, es gab Leichtigkeit und Glück im Hier und Jetzt und ein geradezu magisches Naturerlebnis. Das immer wieder zu erleben, war für uns Kinder ein großes Geschenk, und wir alle haben die Freude am Erklimmen von Gipfeln von ihm übernommen.

Vielleicht ist es also kein Wunder, dass die aktuelle Dankbarkeitspraxis bei mir keine riesige Wirkung zeigt. Unbewusst übe ich sie vermutlich schon von klein auf, weil sie mir vorgelebt wurde. Dennoch ist eine aktive Dankbarkeitspraxis stets empfehlenswert, gerade in stressigen Zeiten, damit wir uns bewusst mit den positiven Aspekten in unserem Leben auseinandersetzen und den vermeintlich negativen ihre Macht nehmen; damit wir uns mit dem Gefühl der Dankbarkeit immer wieder vertraut machen, ihm Raum geben und es entwickeln.

Es empfiehlt sich übrigens auch, kurz vor dem Einschlafen, wenn das Unterbewusstsein offen ist und man seine Gedanken gerade eben noch steuern kann, bevor man in den Schlaf und die Traumwelt gleitet, bewusst an schöne und positive Dinge, Orte und Menschen zu denken. Das kann einen positiven Einfluss auf die Schlafqualität haben und darauf, wie man am nächsten Morgen in den neuen Tag startet.

Gesellschaftlich gesehen fördert Dankbarkeit Altruismus, reduziert Aggressivität, schafft ein Gefühl der Verbundenheit, stärkt zwischenmenschliche Beziehungen und den sozialen Zusammenhalt. Und was brauchen wir mehr in dieser Welt als all das? Wenn du also bisher noch nicht bewusst eine Dankbarkeitspraxis ausprobiert hast, kann ich es dir nur ans Herz legen und wünsche dir eine hohe Wirksamkeit und viel Freude dabei.